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Übertragbarkeit und Verfall von (Mindest-)Urlaub

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Fall eines britischen freien Mitarbeiters („King“ - Az.: C-684/16) die richtungsweisende Entscheidung getroffen, dass dessen über einen Zeitraum von 13 Jahren angesammelter Mindesturlaub von vier Wochen pro Kalenderjahr nicht verfallen sei und damit bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses abzugelten war.

Der Mitarbeiter wurde bei seinem damaligen Arbeitgeber als freier Mitarbeiter geführt und hat in den 13 Jahren seiner Tätigkeit, trotz Beantragung, keinen bezahlten Urlaub erhalten. Der Arbeitgeber teilte ihm stattdessen mit, dass ihm kein bezahlter Urlaub zustehe. Im Nachgang stellte sich heraus, dass eine Scheinselbstständigkeitskonstellation vorlag und ein bezahlter Mindesturlaub von vier Wochen pro Kalenderjahr hätte gewährt werden müssen. Da der bezahlte Mindesturlaub aus vom Arbeitgeber verschuldeten Umständen nicht genommen werden konnte, entschied der EuGH, dass ein Verfall von entstandenem Mindesturlaub nach nationalen Verfallsregelungen nicht in Frage kommt. Entstandener Urlaub sei grundsätzlich unbegrenzt übertragbar. Ein Verfall komme nur in Ausnahmefällen in Frage, wenn der Arbeitgeber (auch) schutzbedürftig sei. Eine solche Ausnahme hat der EuGH für den Fall anerkannt, dass der Urlaub wegen langer Krankheit des Arbeitnehmers nicht genommen werden kann - dann verfällt der Urlaub spätestens 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres. Im Fall „King“ bestand aus Sicht des EuGHs eine unbegrenzte Übertragbarkeit. Der Arbeitgeber hatte die volle wirtschaftliche Last des angesammelten Mindesturlaubs zu tragen. Eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) dazu steht noch aus.

Was aber gilt, wenn ein Arbeitnehmer seinen gesetzlichen Mindesturlaub aus freien Stücken nicht nimmt und ihn noch nicht einmal beantragt? Ist der Urlaub im Hinblick auf die aktuellen Entscheidungen des EuGHs zum Thema Urlaub auch in diesem Fall unbegrenzt übertragbar? Hiergegen wehrt sich das gesunde Rechtsempfinden.

Das BAG hat nun mit Urteil vom 19.02.2019 (Az.: 9 AZR 541/15) entschieden, dass der (Mindest-)Urlaub auch in solchen Fällen nur dann verfällt, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer zuvor klar und rechtzeitig über den konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen (zum Kalenderjahresende, spätestens aber zum 31.03. des Folgejahres) belehrt hat und der betreffend/e Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Ein Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts hatte 11.979,26 Euro brutto als Urlaubsabgeltung für 51 Urlaubstage aus den Jahren 2012 und 2013 eingeklagt. Beantragt hatte er den Urlaub nicht.

Erfüllt der Arbeitgeber diese Voraussetzungen nicht, verfällt der Urlaub nicht. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht dann ein entsprechender Abgeltungsanspruch. Ob der Arbeitgeber diesen Pflichten im konkreten Fall nachgekommen ist, hat hier, nach Zurückverweisung, nun das zuständige Landesarbeitsgericht aufzuklären.

Arbeitgeber sollten daher ihren Arbeitnehmern ab sofort rechtzeitig vor Ende des Urlaubsjahres mitteilen, wie viele Urlaubstage sie noch haben und dass diese zum Kalenderjahresende, spätestens zum Ende des Übertragungszeitraums (31.3. des Folgejahres), verfallen, wenn sie nicht rechtzeitig beantragt und genommen werden. Sicherheitshalber sollte dies zu Beweiszwecken genau dokumentiert werden. Anderenfalls besteht vor allem bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen das Risiko, dass sich der Arbeitgeber vermeidbaren Urlaubsabgeltungsforderungen ausgesetzt sieht. Bei langjährigen Mitarbeitern können hier unter Umständen erhebliche Beträge auflaufen.

 

Sonja Blümel ist Rechtsanwältin bei der PKF WULF PACKOWSKI Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (Mitgliedsunternehmen des PKF-Netzwerkes).

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